
Johann Gottfried Herder (Herderplatz, Mai 2025)
Stand 2.4.2025
Meine Gedankenwelt zur Weimarer Klassik
Zu Charlotte von Stein gibt es eigene Seiten.
Inhalt:
1
Johann Wolfgang (von) Goethe in Weimar
2
Anna Amalia
3
Christiana Vulpius, spätere Christiana von Goethe



Stadtschloss, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Haus der Frau von Stein (April 2024)
Waltraud meint, ich schreibe hier teils zu negativ …
Ich möchte hier aber auch einmal schreiben, nur ergänzend, was bei all dem Positiven in den Publikationen, bei Stadtführern und Co., nach meinen Erkenntnissen oft nicht gesagt wird. Es geht in dieser Seite nicht darum, vielfach Publiziertes nun auch noch einmal zu wiederholen.
Ich schreibe hier ausnahmsweise weitgehend ohne Quellenangaben.
Die Angaben sind möglichst, aber nicht immer, durch Originaldokumente belegt.
1 Johann Wolfgang (von) Goethe in Weimar
[Am 3. Juni 1782 erhält Goethe das von Kaiser Josef II. ausgestellte Adels-Diplom]
Zeitgenossen und auch Goethe selbst belegen es, der berühmte Dichter war in Weimar mehrheitlich unbeliebt und innerlich einsam, war der Feind der Beamten bei Aufstiegschancen und Bezahlung, wurde besonders später auch als überheblich und rechthaberisch eingeordnet.
Aber er war andererseits beim Weimarer Hof- und Gesellschaftsleben auch enorm vielseitig aktiv, der sehr aktive Gestalter und Macher. Es gibt kein nur schwarz und weiß.
Wie oft äußerte Goethe selbst, dass er in Weimar nur einen, „vielleicht“ auch zwei bis drei echte Freunde hatte, dass er in seinem Innern eigentlich ein einsamer Mensch war.
Wie oft hat er in den ersten Jahrzehnten in Weimar mit dem Gedanken gespielt, dem „kleinen und spießigen“ Weimar wieder den Rücken zu kehren.
Aber da gab es zwei gewichtige Gründe:
- Auf das eigentlich unvorstellbar viele Geld von Carl August, inkl. einiger sehr beträchtlicher Geschenke, wollte und konnte er für seine Lebensgestaltung nicht verzichten.
- Und da war dann eben noch, zumindest die ersten ca. 11 Jahre, diese Charlotte von Stein, die ihn so extrem-magnetisch anzog.
Erst in seinen späten Lebensjahren wollte Goethe sein Haus am Frauenplan nicht mehr eintauschen, war dann wohl auch mit dem Leben in Weimar generell zufrieden.
Nebenbei, bezüglich seiner literarischen Werke und dem Weimarer Theater habe ich in der Literatur der HAAB gefunden: Das Weimarer Theater spielte in seiner Zeit zu 90 % Kotzebue und Iffland. Von den restlichen 10 % wollte zudem das Publikum auch noch lieber Schiller als Goethe sehen.
2 Anna Amalia
Liest man die fundierten Bücher „Anna Amalia von Weimar – Eine Biographie“ von Leonie und Joachim Berger (Verlag C.H. Beck München, 2006) und „Das Weimarer Quartett: Die Fürstinnen Anna Amalia, Louise, Maria Pawlowna, Sophie“ von Detlef Jena (Verlag Friedrich Pustet Regensburg, 2007),
wäre Anna Amalia wohl heute weitgehend unbekannt, hätte Goethe nicht 1807 seine berühmte Trauerschrift verfasst, die Anna Amalia wohl für die Ewigkeit verklärt.
Anna Amalia wollte nach dem von mir Gelesenen hauptsächlich Unterhaltung für sich selbst, die sie aber zugleich nach außen hin zur überregionalen Selbstdarstellung als Weimars Muse zu nutzten wusste.
Wesentlich gefördert hat sie wohl niemanden und konnte es finanziell auch nicht. Liebhabertheater, die Gesellschafts- und Tafelrunden inklusive auch Bürgerlicher – alles war auch an anderen deutschen Höfen dieser Zeit stark und dort oft auch noch mehr ausgeprägt.
Und natürlich, wenn da noch ein berühmter und sehr aktiver Goethe als Gast hinzu kam …
Einige Berühmtheiten der „Weimarer Klassik“, die nach Weimar kamen:
- Wieland kam über Graf Johann Eustachius von Schlitz, genannt von Görtz (1737 – 1821) als Prinzenerzieher nach Weimar.
Anna Amalia war anfangs nicht von ihm begeistert, erst später wurden sie wohl gute Freunde.
(mehrere Quellen; ganz besonders jedoch: Leithold, Norbert: Neues vom Weimarer Hof, Tauchaer Verlag Leipzig, 2012) - Goethe kam durch Carl August nach Weimar.
- Herder kam über Goethe nach Weimar.
- Schiller kam letztendlich wegen Goethe nach Weimar. Er war ohne und mit Adelstitel bei Hofe ungern gesehen; beschwerte sich darüber, dass er so gut wie keine Einladungen zum Hof bekam.
- Louise (Luise) von Göchhausen (1752 – 1807), langjährige Gesellschafterin und Hofdame von Anna Amalia – sie darf hier wohl einfach nicht vergessen werden. Sie kam 1775 als Gesellschafterin von Anna Amalia nach Weimar und wurde 1783 bei ihr Erste Hofdame, war auch eine von Goethe sehr geschätzte Person.
Ich provoziere einmal, dass aus meiner Sicht Anna Amalias wohl bedeutendste „kulturelle Tat“ im Jahr 1758 (nichts ahnend) die Einstellung einer 15-jährigen Hofdame (auch noch unüblich niederen und nicht uralten Adelsgeschlechts) war – 17 Jahre vor Goethes Ankunft in Weimar, mit soviel Folgen für Goethe und damit für die „Weimarer Klassik“.
3 Christiana Vulpius, spätere Christiana von Goethe

„behalt mich lieb und dencke am mich leb wohl du Süser deine dich Eewich dich liebenden Christel“
Brief von Christiana Vulpius an Goethe vom 13. Mai 1793.
(GSA Signatur 28/2, Bl. 153 – 154)
Johanna Christiana Sophia war ihr wirklicher Vorname, nie Christiane. Historisch belegt hat sie bei Urkunden u. ä. mit „Christiana“ unterschrieben, in mir bekannten privaten Briefen von ihr mit „Christel“.
Hier hat sich die nicht richtige Schreibweise „Christiane“ erst in späterer Zeit verallgemeinert.
Es war typisch für diese Zeit: Der gebildete Herr wollte in der Regel eine ungebildete Frau – für Haushalt, Hof und für die vielen Kinder.
Und Goethe brauchte passend zu seinen Lebensvorstellungen auch genau so eine Frau.
Mit dem Fräulein Christiana Vulpius hatte er dann wohl im Juli 1788 genau das „gefunden“, was er brauchte – und später auch sehr zu schätzen wusste:
- Sie (Christiana) war ungebildet.
Sigrid Damm hat das in ihrem Buch sehr wohlwollend in das Hochdeutsche transkribiert, aber ich zitiere hier mal ein Original, auch aus ihrem Brief an Goethe vom 13. Mai 1793 (siehe oben):
„Lieber ich wünche dir daß du glücklich amgekamen bist mit dem August geht es ser gut der HoffRacht hat gesacht daß mir dem 17 May wider mah Weimar zu Rückerm kändem du wirst dich ser freuem wem du wieder kömst …“.
Aber das kann man Christiana wirklich nicht negativ ankreiden – hatte sie doch „vor Goethe“ keinerlei Bildungschancen; und Goethe scheint sich da auch nicht sehr um „Nachhilfeunterricht“ bemüht zu haben. - Er (Goethe) hatte weiterhin seine Freiheiten bei seinen Entscheidungen und Lebenszielen.
- Er konnte sich bedingungslos auf sie verlassen.
- Sie hielt ihm den Rücken frei.
- Er hatte eine „Betthäsin“.
- Sie besorgte und organisierte für ihn, war Chefin seiner umfangreichen Hauswirtschaft.
- Er konnte sie bei Reisen und Kuren in Weimar zurücklassen, auch wenn sie da manchmal ein wenig klagte.
Alleine in Jena war er z.B. ca. 5 Jahre ohne sie, oft auch alleine zu Kuraufenthalten, … - Sie hielt sich lange Jahre überhaupt und auch noch nach der Eheschließung meist im Hintergrund.
- Sie (Christiana) war ungebildet.
Man muss sich bei Goethe auch in Erinnerung bringen:
Vor Italien 10 Jahre lang fast nur Amtsgeschäfte, die Hoffnungslosigkeit zu einer gemeinsamen Zukunft mit Charlotte von Stein, das von ihm selbst so bezeichnete „Drecknest“ Weimar, die von ihm oft verachtete Hofgesellschaft …
Dann kam er von Italien als in jeder Beziehung anderer Mensch zurück, wurde für ihn völlig unerwartet von Charlotte von Stein und großen Teilen der Hofgesellschaft schroff zurückgewiesen – und merkte dann passend auch zu seinen Italien-Erfahrungen, dass eine Frau mit Christianas Wesen so viel besser in seine neue geplante Zukunft passte.
(Nachzulesen hauptsächlich bei Damm, Sigrid: Christiane und Goethe – Eine Recherche, 2. Auflage, Taschenbuch, Insel Verlag Berlin, 2017)
Anfänglich liebte Goethe seine Christiana nachweisbar sehr, … aber eben nur die ersten Jahre.
Alphons Nobel hat über diese Anfangszeit wohl treffend geschrieben:
„Bei Frau Stein hatte Goethe das Lachen verlernt, bei seiner Christel lernte er es wieder. Christiane war wie Goethes Mutter eine Frohnatur.“
und er schreibt auch
„In dieser Lebensgemeinschaft [der mit Chr.] herrschte ein eigener [sehr liebevoller] Ton, der erst durch die Briefe Christianes und Goethes bekannt geworden ist.“
(Nobel, Alphons: Frau von Stein – Goethes Freundin und Feindin, Societäts-Verlag Frankfurt a.M. 1939, S. 213)
Das „Verhältnis“ mit Christiana schadete Goethes Ansehen in Weimar sehr, bis hin zum vorübergehenden Rausschmiss aus der Stadt. Aber er nahm da vieles hin und tat auch viel, … für seine Christel und später auch für den gemeinsamen Sohn.
Im Oktober 1806 hat Goethe Christiana nach 18 Jahren wilder Ehe und 5 gemeinsamen Kindern nun endlich geheiratet.
Fast zur gleichen Zeit, nur ein knappes Jahr später, weiß eine Christine von Reinhard in einem Brief an ihre Mutter vom 5. Juli 1807 zu dieser Ehe zu berichten:
„Goethe […] sagte bei der Gelegenheit meinem Mann, er wolle ihm seine Frau vorstellen. Er [Goethe] fügte hinzu: ‚Ich will sie Ihnen schildern, aber nicht in Gegenwart Ihrer Gattin; die ist eine zu aristokratische Natur. Für meine Frau sind meine Werke tote Buchstaben; sie hat keine Zeile davon gelesen; die geistige Welt existiert nicht für sie. Sie ist eine vortreffliche Wirtschafterin; meine Häuslichkeit, die sie ganz allein leitet, ist ihr Königreich. Sie liebt Putz und Theater und ist dann völlig umgewandelt‘. 271“.
(Kratzsch, Konrad: Klatschnest Weimar, 3. Auflage, Verlag Königshausen & Neumann Würzburg, 2009, S. 126 + 127. Anmerkung 271 = Bode, Wilhelm: Goethe in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen. Band 1 – 3, Aufbau-Verlag Berlin Weimar, 1979, S. 360)
Passend dazu schreibt Sigrid Damm: „Die Hofpflichten nimmt Goethe ausschließlich allein war. […] Auch zu den Abendgesellschaften in die wichtigsten Häuser der Stadt geht er [am Anfang ihrer Ehe fast immer, später generell] ohne seine Frau“.
(Damm, Sigrid: Christiane und Goethe – Eine Recherche, 2. Auflage, Taschenbuch, Insel Verlag Berlin, 2017, S. 481f).
In den letzten Lebensjahren Christianas lebte das Paar hauptsächlich wie getrennte Eheleute, wenn auch im gleichen Haus.
So ist es in der Summe nicht verwunderlich, dass Goethe es nicht für Wert hielt, Christiana in seinen „Memoiren“ überhaupt nur zu erwähnen.
Welcher Gegensatz zu einer Charlotte v. Stein, die selbstbewusst auftrat, selbst dem berühmten Goethe Linien und Regeln vorgab. Die forderte, die erzieherisch wirken wollte, die ihn immer wieder leiden ließ und die als gleichwertig akzeptiert werden wollte.
Wer genauer wissen möchte, in welchen realen Verhältnissen und mit welchen Schicksalsschlägen die Familie Vulpius leben musste, wie die normale Bevölkerung zu dieser Zeit lebte, heute unvorstellbar und entsetzlich, aus welchen Verhältnissen heraus Christianas Sprung in die unvergleichlich andere private Welt von Goethe erfolgte, dem seien die beiden Bücher
Sigrid Damm „Christiane und Goethe – Eine Recherche“ (2. Auflage, Taschenbuch, Insel Verlag Berlin, 2017)
und
Bruno Preisendörfer „Als Deutschland noch nicht Deutschland war – Reise in die Goethezeit“ (8. Auflage, Verlag Galiani Berlin 2023 bzw. Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln, 2015, 2017)
empfohlen.

Das (weiße) ehemalige Wohnhaus der Familie Vulpius

in der heutigen Luthergasse 5 (Juli 2024)